Ecosystem-to-Human (E2H): Das neue Paradigma

Führungskräfte benötigen einen klaren und einfachen Weg, um zu verstehen und effektiv innerhalb ihrer Organisation zu kommunizieren, warum eine Ökosystemstrategie und entsprechende Initiativen notwendig sind. Der Schlüssel zum erfolgreichen strategischen Denken in Business Ökosystemen ist das neue Paradigma Ecosystem-to-Human (E2H). Es beschreibt zwei entscheidende Faktoren, die dafür sorgen, dass Business Ökosysteme bei der Schaffung und Bereitstellung von dominanten Wertangeboten leistungsfähig sind:

1. Ein Geschäftsmodell, das auf einer kollektiven Identität statt einer einzelnen Identität basiert, und
2. eine Konzentration auf menschliche Bedürfnisse anstelle von rein funktionalen.

Während der Entwicklung der Ecosystem Strategy Map in mehr als 1.000 Interviews mit strategischen Praktikern sowie in über 20 Projekten mit verschiedenen Unternehmen aus unterschiedlichen Sektoren stellten sich unsere Gesprächspartner aus dem Management die Frage: „Wie erklären wir, warum wir uns verändern sollen?“ Mit anderen Worten: Die Führungskräfte, mit denen wir zusammenarbeiteten, wussten, dass sie etwas tun mussten, um in der aufkommenden Ära der Business Ökosysteme erfolgreich zu sein, aber sie hatten Schwierigkeiten, innerhalb ihrer Organisation das „Warum des Wandels“ effektiv zu kommunizieren. So begannen wir, die grundlegenden Veränderungen zu identifizieren, die durch Business Ökosysteme ausgelöst werden, und übersetzten sie in eine einfache Formel. Auf der Grundlage unserer Forschung entwickelten wir das neue Paradigma Ecosystem-to-Human (E2H), das wir in diesem Artikel zum ersten Mal vorstellen möchten.

Die strategische Bedeutung von Ecosystem-to-Human (E2H)

Unsere Wirtschaft dreht sich darum, das Leben der Menschen einfacher und besser zu machen. Im Zuge der Spezialisierung und des Handels beschafften Unternehmen, die menschliche Bedürfnisse direkt befriedigten (B2C), nicht mehr selbst Materialien und produzierten Konsumgüter. Sie teilten sich die Wertschöpfung, indem sie Ressourcen und vorgefertigte Teile von Zulieferern bezogen (B2B). Während diese traditionelle Kategorisierung heute noch gilt, müssen die strategischen Denker von morgen einen Paradigmenwechsel hin zu einer neuen Perspektive vollziehen: Ecosystem-to-Human (E2H).

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Eine neue Art des strategischen Denkens: Das Zeitalter der Ökosysteme erfordert einen Paradigmenwechsel von B2B/B2C zu Ecosystem-to-Human (E2H).

Ein Business Ökosystem ist eine dynamische und sich gemeinsam entwickelnde Gemeinschaft von B2B- und B2C-Akteuren. Das ultimative Ziel eines Ökosystems ist es, die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse zu entdecken, anzusprechen und zu erfüllen. Eine radikal nutzerzentrierte Perspektive ist nicht nur für die meisten B2C-Unternehmen bereits „State of the Art“, sondern im Zeitalter der Business Ökosysteme für jedes Unternehmen absolut überlebensnotwendig. Auch B2B-Organisationen müssen verstehen, dass die Beziehung zu den Endverbrauchern nicht mehr indirekt ist. Strategisches E2H-Denken bedeutet, das Gesamtbild zu betrachten und zu fragen: „Wie können wir das Leben der Menschen einfacher machen? Und mit wem?“

Zwei Veränderungen führen zu E2H

Das neue Paradigma ist durch zwei wesentliche Veränderungen in Unternehmen gekennzeichnet: Die Änderung des Wertschöpfungsfokus/Zwecks und die Änderung des Betriebsmodells/der Identität.

Ecosystem-to-Human (E2H) erfordert zwei Veränderungen in traditionellen Unternehmen

Der Wertschöpfungsfokus beschreibt, warum der Wert geschaffen wird und für wen, basierend auf dem Zweck eines Unternehmens. Der Schwerpunkt eines traditionellen B2B/B2C-Unternehmens liegt auf der Erfüllung funktionaler Bedürfnisse eines Geschäftskunden (B2B) oder des Endverbrauchers (B2C). Diese sind in der Regel eng, spezifisch und funktionsorientiert.

Wenn sich ein Unternehmen zu H(uman) wandelt, werden die menschlichen Bedürfnisse angesprochen. Diese Bedürfnisse sind breiter angelegt, nutzerorientiert und stehen im Kontext des aktuellen Zeitgeistes (z. B. Verbesserung des Lebens auf dem Planeten, Lösung globaler Probleme). Die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse führt zu ganzheitlichen Lösungen, die das Potenzial haben, sich zu dominanten Wertangeboten zu entwickeln.

Das Betriebsmodell beschreibt, wie Wert geschaffen wird, und basiert auf der Identität eines Unternehmens. Ein traditionelles B2B/B2C-Unternehmen versteht sich als eine einzelne Einheit, ist egozentrisch und fragt: „Wie kann ich den größten Wert schaffen?“ und „Wie kann ich mein Geschäft optimieren?“ Die Effizienz wird innerhalb der Organisation (z. B. durch Skaleneffekte) durch Selbstoptimierung erzielt.

Wenn sich ein Unternehmen von einem B(usiness) zu einem E(cosystem) wandelt, nimmt es eine kollektive Identität an. Die Fragen lauten nun: „Wie können wir gemeinsam den größten Wert schaffen? Und wie können wir unser Ökosystem optimieren?“ Der neue Fokus auf die Optimierung des Gesamtsystems ist komplexer, bietet aber größere Effizienzgewinne im Vergleich zur Selbstoptimierung („die Macht der Vielen“). Diese Komplexität kann durch die Digitalisierung bewältigt werden und erfordert einen ganzheitlichen Ansatz für das Partnermanagement, um alle Geschäftsbereiche in das gesamte Business Ökosystem und seine Akteure zu integrieren. Das Unternehmen ist nicht mehr allein, sondern agiert in einem Netzwerk von Partnern, die ein gemeinsames Ziel verfolgen.

Letztendlich ist E2H effizienter in der Wertschöpfung und effektiver bei der Lösung relevanter Probleme mit Lösungen, die für die Menschheit notwendig sind. Es schafft eine starke Positionierung, die sowohl wettbewerbsfähig als auch nachhaltig ist und durch eine breite Palette positiver Effekte wie einen besseren Ruf, stärkeres Employer Branding zur Anziehung von Top-Talenten, verbesserte Börsenwerte und ein höheres EBITA gestützt wird. Dies ist der Grund, warum viele Unternehmen beginnen, in Richtung E2H zu denken: Sie wollen aus einer Position der Stärke heraus in die Ära der Business Ökosysteme eintreten.

Amazons Weg von B2C zu E2H

Als Amazon 1994 mit dem Verkauf von Büchern über einen Online-Shop begann, um das Leben der Leser zu erleichtern, war es ein B2C-Unternehmen. Das Betriebsmodell bestand darin, Produkte und Prozesse zu optimieren, um eine große Anzahl von Büchern im Online-Shop und einen schnellen Versand zu ermöglichen. Der Wertschöpfungsfokus lag auf der Erfüllung des spezifischen funktionalen Bedürfnisses, ein Buch zu kaufen.

Innerhalb von zwei Jahrzehnten änderte Amazon sein Betriebsmodell von der Selbstoptimierung hin zur Betonung von Service, Lösungen und dem Partnermanagement. Auf diese Weise integrierte Amazon das Know-how, die Angebote und Betriebsabläufe in einen kollaborativen Ansatz und änderte seine Identität von einem einzelnen zu einem kollektiven Unternehmen. Der Wertschöpfungsfokus verlagerte sich zunehmend auf den Zweck und die Erfüllung ganzheitlicher menschlicher Bedürfnisse, wie z. B. die Unterstützung von Menschen in ihrem Zuhause im Fall von Amazon Alexa (mit vielen Partnern im Smart-Home-Kontext), die Verbesserung des Gesundheitswesens mit 1492/Amazon X (zusammen mit JP Morgan und Berkshire), die Demokratisierung der Bildung mit Amazon Education oder die Erleichterung der Arbeit im Fall von Amazon Web Services.

Mit einer E2H-Perspektive dachte Amazon breiter und fragte: „Wie können wir das Leben der Menschen einfacher machen? Und mit wem?“ Die wichtige Erkenntnis aus dem Fall Amazon (die aber auch auf Apple, Google, Alibaba, Tencent und viele andere Tech-Giganten zutrifft) ist, dass diese Unternehmen anfangs nicht als Business Ökosystem-Player begonnen haben. Sie erkannten die Skalierungsmöglichkeiten eines radikalen E2H-Ansatzes und richteten ihre Aktivitäten auf dieses neue Paradigma aus.

Man könnte argumentieren, dass E2H nur für B2C-Unternehmen relevant ist, doch wir glauben, dass das Gegenteil der Fall ist. Business Ökosysteme sind End-to-End-Systeme – von der Beschaffung von Ressourcen bis zur Bereitstellung einer Lösung für den Endkunden. E2H-Akteure bestehen aus Unternehmen aller Branchen, sei es ein digitales Plattformunternehmen wie Amazon oder traditionelle B2B-Unternehmen.

B2B-Unternehmen integrieren bereits das neue Paradigma

Wir beobachten Bewegung bei traditionellen B2B-Unternehmen in verschiedenen Sektoren wie Energie, Finanzen, Mobilität, IT, Gesundheitswesen und Konsumgüter. Unternehmen wie Enel, IBM, Shell oder 3M sind auf dem Weg, das E2H-Paradigma in ihre strategische Positionierung zu integrieren und es in konkrete Ökosysteminitiativen umzusetzen. Schauen wir uns die Beispiele von drei Unternehmen genauer an: Siemens, SAP und die Deutsche Bahn.

Siemens, das größte europäische Industrieunternehmen, wurde 1847 auf der Grundlage der Erfindung des Telegrafen gegründet. In den mehr als 170 Jahren seines Bestehens war es die meiste Zeit über ein typisch deutsches B2B-Ingenieurunternehmen mit einem Betriebsmodell und einer einheitlichen Identität, die auf Selbstoptimierung ausgerichtet war – hauptsächlich in den Bereichen Industrie, Energie, Gesundheitswesen sowie Infrastruktur und Städte. Sein Zweck und seine Wertschöpfung konzentrierten sich auf funktionale Bedürfnisse und die Lösung technologischer Probleme wie die „Herstellung effizienter Turbinen“ oder den „Bau zuverlässiger Züge“.

In den letzten Jahren hat Siemens seinen Unternehmenszweck und seine Wertschöpfung eindeutig auf umfassendere menschliche Bedürfnisse ausgerichtet. Dies zeigt sich in dem zweckorientierten Anspruch „Ingenuity for Life“, den Siemens-CEO Joe Kaeser auf seinem LinkedIn-Profil erläutert:

[Es] bedeutet, unermüdlich daran zu arbeiten, Werte für unsere Kunden und Mitarbeiter sowie für die Gesellschaft zu schaffen – denn ich glaube, dass Unternehmen nachhaltig zum Wohl der Gesellschaft beitragen müssen.

Gleichzeitig hat Siemens mit seiner IoT-Ökosystemplattform Mindsphere, die ein Partnermanagement und eine kollektive Unternehmensidentität erfordert, begonnen, sein Betriebsmodell zu verändern.

Wie Amazon beginnt auch Siemens mit der Anwendung von E2H, indem es fragt: „Wie können wir das Leben der Menschen einfacher machen? Und mit wem?“ Obwohl das Unternehmen auf eine lange Geschichte als B2B-Unternehmen zurückblicken kann, macht es die ersten Schritte, um sich auf die Ära der Business Ökosysteme vorzubereiten. Auch wenn das Gesamtportfolio des Unternehmens Siemens noch nicht zu einem vollwertigen E2H-Unternehmen macht, ist das Unternehmen eindeutig auf dem Weg dorthin.

Neben Siemens gibt es weitere Beispiele aus dem traditionellen B2B-Sektor. So hat der europäische Softwarekonzern SAP vor kurzem den Ökosystemansatz „Climate 21“ eingeführt, um seinen Kunden zu helfen, ihren CO2-Fußabdruck zu verstehen und zu minimieren. Er ist Teil der gemeinsam mit Accenture und den Vereinten Nationen gestarteten Impact-Initiative „SDG Ambition“, die Unternehmen dabei unterstützen soll, die Sustainable Development Goals in ihr Kerngeschäft zu integrieren. Mit ihren Softwarelösungen ist die SAP bereits ein Business Ökosystem-Unternehmen. Doch Initiativen wie „Climate 21“ drängen auf mehr Zweckmäßigkeit und eine Ausrichtung auf menschliche Bedürfnisse.

Ein weiteres Beispiel ist die Deutsche Bahn, das zweitgrößte Verkehrsunternehmen der Welt. Das neue Vorstandsmitglied Sigrid Nikutta hat kürzlich angekündigt, dass sie den Geschäftsbereich Güterverkehr nach einem konsequenten E2H-Ansatz neu ausrichten will. In einem Interview mit der Zeitung Die Zeit beschrieb sie ihre zielgerichtete Vision, den Verbraucher dafür zu sensibilisieren, wie Getreide und Turnschuhe zum Einzelhandel transportiert werden, und dabei die menschenzentrierte Perspektive des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit einzubeziehen. Da die Deutsche Bahn Partner entlang der gesamten Wertschöpfungskette aller von ihr transportierten Produkte benötigt, um den CO2-Fußabdruck zu erfassen, kann dieser Bewusstseinswandel nur mit einer kollaborativen Ökosystem-Identität vollzogen werden.

Schlussfolgerung: Wie Sie das E2H-Denken in Ihrem Unternehmen einführen

Eine erfolgreiche Geschäftsstrategie ermöglicht es Unternehmen, starke Trends frühzeitig zu erkennen und sie zu ihrem Vorteil zu nutzen, anstatt sie zu bekämpfen und damit möglicherweise ihre Zukunft zu gefährden. Dafür ist das E2H-Denken entscheidend. Jedes Unternehmen sollte seinen Zweck auf die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse gründen. Mit einer kollektiven Business Ökosystem-Identität ist es möglich, dabei größere Effizienz zu erreichen.

Nur durch E2H-Denken können Unternehmen Angriffe von Tech-Playern und Einhorn-Startups abwehren, die diese Denkweise bereits erfolgreich anwenden. Nur so können sie sich öffnen, die inkrementelle Optimierung hinter sich lassen und Probleme und Lösungen im großen Ganzen sehen.

Unsere Ecosystem Strategy Map ist ein Tool, das entwickelt wurde, um das E2H-Paradigma in den Strategieprozess Ihres Unternehmens zu integrieren. Sie können Ihr Unternehmen intuitiv im Kontext des Business Ökosystems positionieren, um menschliche Bedürfnisse zu erfüllen. Dieser Ansatz ermöglicht es Unternehmensstrategen, den Endkunden/den Menschen und andere Unternehmen ganzheitlich zu betrachten, während sie ihre Ökosystempositionierung mit der Ecosystem Strategy Map definieren.